Thomas Woll im Walzwerk – Our Trace in Time

02.12.2023

Traces

Um seine Spuren zu lesen bedarf es – wie immer in der Kunst – des Innehalten und Beobachtens. Dabei übernimmt Woll die Regie, seine Objekte leiten durch den Raum. In den etwas über 30 qm gibt es keine Gelegenheit, sich einen Überblick zu verschaffen. Die Aufmerksamkeit wird von Details gefangen, die jeden Weitblick versperren. Die fremdartigen Strukturen der Installation sind nicht vollkommen abstrakt. Sie vermitteln den Anschein einer Funktionsarchitektur. Die reine Sinnlosigkeit als des Rätsels Lösung anzunehmen, gelingt nicht. Wolls Bauten besetzen eine beinahe unerträgliche Position in der Mitte zwischen offenbar Rätselhaftem und rätselhaft Offenbarem. So wendet sich die Aufmerksamkeit dem Material zu:
die allgegenwärtige „Baustoff-Ästhe­tik“ erscheint als massiver Gegenentwurf zu jedwedem Weltbild, das sich auf virtuelle Wahrheiten, digitale Vernetzung und Datenströ­me stützt. Beton, Holz und Glas vermitteln den Eindruck von Gewicht(igkeit). Auf diese Weise behaupten Wolls neu geschaffene Bauten ihre eigene Wirklichkeit, machtvoll, aufdringlich und unzweifelhaft. Ihre Sicherheit überträgt sich auf mich. Es ist schon erstaunlich, dass vor dem Hintergrund einer allzu grenzenlos erscheinenden Vision von Zukunft ausgerechnet Betonformen mit der Anmutung eines brutalistischen Gebäudes der 80er Jahre eine beruhigende Wirkung auf den menschlichen Geist haben kann.

Woll sagt, seine architektonischen Interventionen, “die müssen was [mit dir] machen”. Ihre physische Existenz in Material und Gestalt stattet sie mit einer selbstverständlichen Daseinsberechtigung aus, die räumlich und zeitlich unbegrenzt ist. Während die Bausubstanz des Ausstellungsraums Walzwerk Null deutliche Spuren der Vergänglichkeit zeigt, traut man der Kunst zu, schon vor diesem Raum an diesem Ort existiert zu haben und auch jede Zukunft hier zu überdauern. Es entsteht die Idee dauerhafter Spuren in der Zeit, die mächtiger sind, als das Datenrauschen einer digital gesteuerten Welt da draussen.

Our Trace in Time – eine Vollbremsung von Thomas Woll

‘Ghost in the Shell’ – eine Manga Reihe aus Japan von 1989, wirft einen verwirrenden Blick in die Zukunft, 40 Jahre voraus in das Jahr 2029. 34 Jahre sind seither vergangen. Von den Visionen der Erzählung ist so manches heute real: Künstliche Intelligenz und Organe aus dem 3D Plotter sind einsatzbereit, der Turing Test ist halb bestanden. Am Ende dieser Science Fiction Geschichte – ganz so, wie auch in der heutigen Realität – steht der Mensch vor der Aufgabe, seine Position neu zu definieren, ja um sie zu kämpfen. Was überlassen wir der digitalen Technologie? Was ist ‘typisch Mensch’, wenn schon das Denken scheinbar in Computer ausgelagert werden kann.

Diese und ähnliche Fragen bewegen Thomas Woll schon seit Beginn seines Kunststudiums. Im Deutschen Luft- und Raumfahrt Zentrum verbrachte er die Semesterferien als Teilnehmer einer Studie zum Verhalten des menschlichen Körpers bei Schwerelosigkeit. Erinnert man sich an die frühen Rauminstallationen des Künstlers, etwa an die ‘Orbital Hülle’, 2011 in der TZR Galerie Düsseldorf, sind die Reminiszensen an die Konstruktion einer Raumstation, die Woll damals am DLR besuchte, unübersehbar.

Die eigene Erfahrung von Schwerelosigkeit brachte ihm zugleich die Erkenntnis, dass die Bodenhaftung verloren gehen kann.

Seither hat Woll ein feines Sensorium dafür entwickelt, wie weit die digitale Steuerung bereits unseren Alltag durchdrungen hat. Der Orientierungsrahmen unseres gesellschaftlichen, politischen und sozialen Lebens, bislang als ‘sicher’ angenommen, löst sich rapide auf vor den Hintergrund neuer Visionen und tatsächlich stattfindenden Entwicklungen. Immer schnellere Transportmöglichkeiten von immer grösseren Datenmengen machen eine physische Teilhabe der Menschen an ihrer Zeit scheinbar überflüssig. Dagegen funktionieren die Installationen von Thomas Woll wie eine Vollbremsung.

Walzwerk Null Ausstellungsraum – Our Traces in Time

Bewusst ‘planlos’ betritt der Künstler den Ausstellungsraum Walzwerk Null. Das ist Wolls Methode. Er vergewissert sich, kommt zum Stillstand im Hier und Jetzt. Vollkommen entschleunigt, in spontaner Reaktion auf den Ort, entwickelt er seine architektonischen Interventionen. In einem Tage währenden Prozess wuchern die skulpturalen Bauten. Nach ihrer Fertigstellung sind sie wie Anker, Fixierungen einer Existenz. Um seine Spur in der davonfliegenden Zeit zu hinterlassen, ist Thomas Woll kurz stehen geblieben.